Am 17.01.2011 besuchte Mehmet Ungan vom Sufi-Zentrum Ludwigshafen auf Einladung den Ethikkurs der Jahrgangsstufe 12. Mit einem Lied leitete er die Klasse in seine Welt des interreligiösen Liberalismus ein.

Musik hat für einen Sufi große Bedeutung. Ungan sagt, Musik sei für ihn göttlich und elementarer Bestandteil seines Lebens. So ist es nicht verwunderlich, dass man den Eindruck bekam, er gebe alle Emotionen und Gedanken preis und erzähle seine Geschichte durch die Melodie.IMG_3631[1]_72

Jahrgangsstufe 12. Mit einem Lied leitete er die Klasse in seine Welt des interreligiösen Liberalismus ein.

Ohne weiteren Einstieg beginnt er zu erzählen, denn im Sufismus gebe es keinen Anfang und auch kein Ende. Gott, der Geliebte, werde durch alles Schöne repräsentiert. „Ich bin schön, wir alle sind schön, wir alle sind ein Teil von Gott“ sagt Ungan. Sufis würden Gott erfahren durch alles, was ihnen Freude bereiten würde, sei es zum Beispiel Musik oder Tanz. Daraus resultieren für sie Energie, Motivation und Weisheit. In manchen Sufi-Einrichtungen ist es sogar üblich, vor der spirituellen Meditation gemeinsam zu kochen, um die Gemeinschaft somit zu stärken. Soziale Kontakte und kommunikativer Austausch seien Voraussetzung für eine gesunde Gesellschaft, gibt Ungan zu verstehen.

Eine Personalisierung von Gott gebe es im Sufismus nicht, auch wenn der Koran die Grundlage für den Glauben bildet. Im Allgemeinen könne Sufismus auch nicht als Religion definiert werden, denn er sei nicht auf der Basis von Tradition, Werten und Prinzipien aufgebaut. Er sei frei von Differenzen, Wertevorstellungen und Vorgaben, welche in den Islam hinein interpretiert würden. Ungan verdeutlicht dies noch einmal mit dem Argument, dass man das Leben in all seinen Möglichkeiten ausleben solle. Wo es Vorschriften gebe, gebe es Grenzen, wo es Grenzen gebe, gebe es Reibung und Reibung sei Krieg, so sagt er. Die Regeln der Religion sind für den Sufi Leitlinien, aber nicht absolut verbindlich und den ewigen Pfad muss man jedoch alleine gehen. Nicht selten wird der Sufismus daher Erfahrungsreligion genannt. Eine Erfahrung ist wertvoller als alle Gesetze zusammen und bildet die Persönlichkeit.

Die Kritik von Seiten der Schüler, dass eine Welt ohne Regularien reine Utopie sei, ist im Sufismus irrelevant. Eine Ausnutzung der Freiheit wird durch den Grundsatz der Gleichheit aller Menschen von vornherein ausgeschlossen. Die endgültige Antwort liegt jedoch in der Mystik des Sufismus und kann rein pragmatisch nicht diskutiert werden.

Trotz der Entstehung im 9. Jahrhundert hinterlässt der Sufismus einen modernen, innovativen Eindruck. Entwicklung und Fortschritt werden befürwortet und der Einsatz von kollektiver Intelligenz gewünscht. So wirkt die Kirche, als Organisation, heute überholt, da sie aus einer vormodernen Zeit ohne offenes und damit flexibles System stammt. Teil des weltlichen Prozesses zu sein und sich authentisch an Dingen wie Umweltverschmutzung und Armut zu beteiligen, ist als Sufi selbstverständlich, darin manifestiert sich die Ansicht der große kosmische Einheit von Allem.

Wertend äußert Ungan sich allerdings nie, denn nach seiner Auffassung ist jeder Mensch gleichermaßen frei und zum autonomen Handeln fähig.

Dieser anregende Besuch vermittelte die Existenz von einem realitätsnahen Glauben und half Vorurteile gegenüber Religionen abzubauen.

Ruven Kloettschen