Um einen spannungsvollen Kontrast zur religiös geprägten Kunst des Mittelalters herzustellen, haben die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 12 an einem Workshop „Religion in der modernen Kunst“ in der Kunsthalle Mannheim teilgenommen. Weitgehend sind in den modernen Werken keine religiösen Motive, wie man sie aus den Arbeiten alter Meister kennt, vorhanden. Religion als ordnungs- und sinnstiftende Instanz, als Garant von Geborgenheit und Zuflucht hat in der modernen Kunst kaum noch Bedeutung. Die Kunstwerke vermitteln und illustrieren keine traditionellen Glaubensinhalte mehr, wie wir sie aus den Darstellungen des Mittelalters vom Besuch des Workshops im Wilhelm-Hack-Museum kennen.

Im Mittelpunkt der Führung stand die Bronzeplastik „Paulus – Il Miraculo – das Wunder“ von Marino Marini. Anhand von Abbildungen von Reiterstauen der vergangenen Jahrhunderte, die er in einer Mappe bereithielt, führte Herr Alacam, der Museumsführer, die Entwicklung dieser Art von Skulpturen vor Augen. Erwähnt wurden frühe Beispiele aus der Antike. Ausführlicher ging er auf ein Beispiel aus der Türkei ein, das Atatürk in heroischer Pose auf einem sich aufbäumenden Pferd zeigt. Die Aufgabe war zu erkennen, welchen Sinn derartige Gebilde, gerne aufgebaut an exponierten Stellen einer Stadt, haben. Die Schüler fanden heraus, dass in der Pose des Reiters sich sehr gut der Anspruch eines Herrschers auf Macht und Unterordnung ausdrücken lässt. Kunst übernehme also oft genug die Rolle der Propaganda, so Herr Alacam. Dies müsse man durchschauen können und deshalb sei es wichtig, sich nicht nur mit Methoden und Weltbild der Technik zu beschäftigen.OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Im Unterschied zu traditionellen Reiterstandbildern, die Macht und Stärke eines Staates oder eines Herrschers demon strieren wollen, symbolisiert die Plastik Marinis von 1953 den Zusammenbruch der gesellschaftlichen und politischen Ordnungssysteme. Der Reiter hat die Kontrolle verloren, ihm sind die Hände gebunden; er hat die Zügel nicht mehr in der Hand. Er kann sich nicht mehr auf dem Pferd halten, weil das Pferd selbst zusammengebrochen ist. Der Pferdekopf erinnere an Darstellungen der apokalyptischen Reiter aus dem Mittelalter, so der Kunstexperte. Der Museumsführer regte in einem Gespräch die Schüler dazu an, das Kunstwerk in einen historischen Zusammenhang zu stellen: Nachkriegszeit. Angesichts der Gräuel des zweiten Weltkrieges, des Massensterbens und des Holocausts haben die Ordnungs- und Orientierungssysteme versagt. Diese Erkenntnis ist nach Marini die moderne Variante des Erweckungserlebnis des Saulus/Paulus: Jetzt ist der Mensch selbst für sich verantwortlich. Für ihn gibt es keine sichere Ordnung und Orientierung mehr in dieser Welt, zumindest nicht durch eine politische bzw. gesellschaftliche Instanz.

Die Plastik von Alberto Giacometti „Der Platz“ von 1958/49 zeigt drei in die Länge gezogene Menschen. Angst, Hunger und Schrecken kennzeichnen ihre existentielle Grundsituation. Der Mensch ist auf seinen letzten, schutzlosen, existentialistischen Daseinskern reduziert. Es ist kein direkter Bezug zur Religion sichtbar, das Werk wird dennoch als Beispiel von ’säkularisierter Sakralkunst‘ bezeichnet.

Anselm Kiefer hat mit „Die Welle“ ein Werk geschaffen, eine Meereslandschaft, die gekennzeichnet ist von Zerstörung und Untergang. Das Meer gilt nicht wie in den Bildern der Romantik als Symbol von Freiheit, sondern ist Sinnbild für Hoffnungslosigkeit und Untergang. Unzählige Striche auf dem Bild, die an die Wände von Gefängniszellen erinnern, in denen die Gefangenen die überstandenen Tage gezählt haben, symbolisieren diese die Ausweglosigkeit des Menschen. Auf der Welle aus Beton, die vor den drei Bildern platziert ist, befindet sich ein zerstörtes Schiff, ein apokalyptisches Untergangsszenario. Wer denkt da heute nicht an Fukushima?

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So mögen die Werke der modernen Kunst augenscheinlich ihre religiösen Motive verloren haben, aber wenn man Religion versteht als das, „was mich unbedingt angeht“ (Paul Tillich), was mich in meinem existentiellen Dasein, in meinen Ängsten und Hoffnungen betrifft und mir auch die Möglichkeit anbietet, aus der Konfrontation mit dem Desaströsen positive Gegenentwürfe zu konstruieren, dann ist ein wesentlicher Gehalt   von Religion getroffen. Die Vorstellungen von einem allmächtigen Gott, der die Geschicke der Welt und des Menschen leitet, davon wurde allerdings in diesen Bildern Abschied genommen. Das haben die Schüler, wie in der Aufarbeitung des Workshops deutlich wurde, erkannt.

In der Diskussion mit Schülern muslimischen Glaubens wurde deutlich, dass der Stellenwert von Religion bei ihnen weitaus größer ist. Die Religion hat für sie ordnungs- und sinnstiftende Bedeutung. Die meisten Schüler mit christlichem Hintergrund sehen diese Funktion von Religion, wenn überhaupt noch, als deutlich geschwächt an.

M. Gerdes-Pfeiffer
C. Weitz

Im Kunstmuseum wurden wir mit der Gruppe an eine Skulptur geführt, die ein sitzendes Pferd und einen fallenden Reiter, der die Zügel losgelassen hat, darstellt. Wir diskutierten und interpretierten fast zwei Stunden lang. Danach gingen wir ein Stockwerk höher und der Museumsführer präsentierte uns fünf Bilder. Diese waren mehr oder weniger eine Steigerung. Sie zeigten das Meer und den Himmel. Sie sahen aus wie die Innenwand einer Gefängniszelle: viele Striche auf der Wand, die die Tage, Monate und Jahre zählen. Von Bild zu Bild stieg der Wellenstand, immer weniger Luft zum Atmen, immer mehr Wut und der psychische Druck steigt auch.

Persönlich hat mir der Besuch sehr gefallen, obwohl ich viel über den Sinn diskutierte. Der Aufenthalt hat mich sehr geprägt, da ich vorher nichts für die Kunst übrig hatte. Jetzt sehe ich jedes Bild und jede Skulptur anders, da ein Bild mehr sagen kann als tausend Worte. Hiermit bedanke ich mit herzlich für den Besuch im Museum, da er mich positiv geprägt hat.
Kamil Skwierawski

In der Kunsthalle in Mannheim konnten wir zwei Kunstwerke betrachten. Wir konnten ein fallendes Pferd beobachten, auf dem ein dürrer, abgemagerter Mann saß. Bei diesem Kunstwerk wurde uns erklärt, dass das Pferd zu früheren Zeiten ein Statussymbol für die Menschen war. Uns wurden dann auch Bilder von Machtpersonen gezeigt, wobei wir die machthaberische Haltung der jeweiligen Machtpersonen auf den Pferden erkennen konnten. Doch bei diesem Kunstwerk war genau das Gegenteil der Fall, denn sowohl das Pferd, als auch die Person, die auf dem Pferd sitzt, waren abgemagert, bis auf die Knochen. Dass ein Mensch beide Zügel fest in der Hand hält, ist auch ein deutliches Zeichen für Macht, erklärte uns der Museumsführer. Bei diesem Kunstwerk jedoch hatte diese Person die Zügel nicht in der Hand, sondern weit in die Luft gerissen. Auf dem zweiten Kunstwerk haben wir fünf Bilder gesehen, worauf wir viele verschiedene Kalendertage aufgelistet sehen konnten und die Bilder waren voll mit der Strichliste bedeckt. Dazu interpretierten wir, dass ein Gegensatz auf dem Bild zu erkennen ist: Die Strichliste und die Kalendertage könnten für die Tage im Gefängnis stehen und im Hintergrund sahen wir ein weitreichendes Meer und einen Himmel. Der Himmel stand bildlich für Freiheit. Wir fanden es sehr lehrreich zu sehen, dass Kunstwerke so vieles aussagen und nicht immer schön aussehen müssen.
Denis Antonov und Nico Pantano